Test: IGS Audio Zen, analoger Stereo-Kompressor - AMAZONA.de (2024)

Analog as analog can be!

29. November 2021

IGS Audio Zen, Analoger Stereo-Kompressor

Ja, ich weiß, Outboard-Equipment hat es heutzutage mehr als nur schwer. Jeder liebt innerhalb seiner Produktionen die zumeist bessere Auflösung, den größeren Headroom und die „musikalischere“ Arbeitsweise der 19 Zoll Boliden, die sowohl optisch als auch haptisch die Quintessenz der Studioatmosphäre einfangen. Legt man jedoch die wirtschaftliche Messlatte an und rechnet kurz durch, wie viel mehr Umsatz durch eben jenes Produkt generiert wurde, bewegt man sich traurigerweise binnen kürzester Zeit im Bereich der Liebhaberei. Nichtsdestotrotz bietet die Industrie eine stabile Basis an hoch- und höchstwertigen Dynamikprozessoren, wie zum Beispiel den zum Test vorliegenden IGS Audio Zen, der neben einer omnipräsenten Optik und einem Ladenpreis von knapp 3.000,- Euro technisch einige Besonderheiten zu bieten hat.

Aufbau und Konzeption des IGS Audio Zen

Vintage! Dies ist sowohl bei mir, als auch wahrscheinlich bei vielen Usern, die gerade diesen Artikel lesen, das erste Wort, das einem durch den Kopf schießt. In der Tat ruft der IGS Audio Zen, dessen Hersteller in Polen ansässig ist, so ziemlich alles an optischen und haptischen Attributen auf, was man mit den Klassikern der analogen Signalführung verbindet. Laut Firmeninfo basiert das Konzept des IGS Audio Zen auf den „legendären Kompressoren der Abbey Road Studios“, die zum Beispiel intensiv von den Beatles genutzt wurden. Um welche Kompressoren bzgl. des vorbildhaften Charakters es sich genau handelt, wird leider nicht erwähnt.

Man sieht allerdings bereits auf den ersten Blick, dass der IGS Audio Zen mit deutlich weniger Bedienungselementen auskommt. Ähnlich eines Vari-Mu-Kompressors besitzt der IGS Audio Zen keinen Ratio-Regler, nicht mal ein Threshold-Regler lässt sich auf dem Bedienungspanel ausmachen. Statt dessen prangen pro Kanal zwei massive Chickenhead-Regler für Attack und Release im oberen Bereich, deren elfstellige Regelmöglichkeiten durch eine Rasterung vorgegeben wird und über einen Minischalter um den Faktor 4 erhöht werden können. Die einzelnen Bereiche gestalten sich wie folgt:

  • Attack: 5 ms, 8 ms, 12 ms, 18 ms, 25 ms, 37 ms, 50 ms, 62 ms, 75 ms, 87 ms, 100 ms
  • Release: 10 ms, 25 ms, 50 ms, 100 ms, 200 ms, 350 ms, 500 ms, 625 ms, 750 ms, 1000 ms, 2000 ms

Hält man sich nun die Vervierfachung der Werte vor Augen, ergeben sich in der Tat extreme Regelwege, die wahrscheinlich weniger in der Musiktitelproduktion Verwendung finden würden, aber zum Beispiel im Score-Bereich eine sehr gute Figur abgeben würden. Ein weiterer Minischalter ermöglicht eine Preset-Einstellung von Kompressor auf Limiter, was über einen entsprechenden Soft Knee/Hard Knee-Abgleich erfolgt.

IGS Audio Zen VU Meter

Je ein weiterer Chickenhead-Regler pro Kanal verwaltet ein Hochpassfilter, das wahlweise bei 60 Hz, 90 Hz, 120 Hz oder 240 Hz greift oder aber ganz abgeschaltet werden kann. Interessant ist die AMP-Stellung, bei der der Sidechain-Circuit umgangen wird und der Kompressor wie ein 36 dB Amplifier arbeitet, was auch unter dem Namen THD-Model bekannt ist. Zwei beleuchtete Druckschalter aktivieren mittels eines True-Bypass die On/Off-Funktion, wobei ein Link-Schalter die beiden Kanäle zu einem Stereo-Modul zusammenschaltet. Für das richtige Vintage-Flair sorgen ebenfalls zwei große VU-Meter, welche die Gain-Reduktion abbilden.

Wer bis hier noch ein eher müdes „Ja und?“ auf den Lippen hat, wird spätestens bei einer Drehbewegung an den Input- und Output-Reglern die Augenbrauen hochziehen. Das ist kein Vintage mehr, das ist bereits Militärstandard. Die schwarzen Drehknöpfe mit einer 24-fachen, extrem schwer gängigen Rasterung könnten auch in jedem russischen U-Boot Verwendung finden. Überdrehen mittels einer zu schnellen Bewegung? Nicht mehr exaktes Auffinden der letzten Einstellung? Mit diesen Reglern unmöglich! In der Tat stellen diese Regler einen haptischen Höhepunkt dar, es macht einfach richtig Spaß, diese Regler zu bewegen!

Welche Anschlüsse bietet der IGS Audio Zen?

Die Rückseite des 3 HE großen Boliden, der mit seinem dunkelblau/schwarz lackierten Finish und mit 9 kg Gewicht zudem recht stämmig daher kommt, ist schnell abgehandelt. Je Kanal 1x XLR männlich und XLR weiblich In/Out, fertig. Zusätzliche Anschlüsse? Fehlanzeige, alles vintage in Reinkultur. Interessanterweise wird der IGS Audio Zen mit vier kräftigen Gummifüßen ausgeliefert, was dem Kompressor auch außerhalb des Rack-Betriebs einen stabilen Stand ermöglicht.

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Leider geizt der Hersteller in Sachen Infomaterial sehr stark mit einer umfassenden Aufklärung und auch die passende Website bietet nur sehr spartanische Auskünfte über das immerhin fast 3.000,- Euro teure Produkt. Nicht jeder möchte sich durch die Innereien der Technik kämpfen, aber ein wenig mehr Detailangaben wären meines Erachtens für echte Gear-Nerds durchaus wünschenswert.

IGS Audio Zen Rückseite

Die Besonderheit des IGS Audio Zen

Wie der Produktname schon vermuten lässt, arbeitet im Inneren des IGS Audio Zen eine besondere Diode mit der Bezeichnung Z-Diode. Eine Z-Diode, auch Zener-Diode genannt, ist eine Diode, die darauf ausgelegt ist, dauerhaft in Sperrrichtung im Bereich der Durchbruchspannung betrieben zu werden. In Sperrrichtung sind Z-Dioden bei geringen Spannungen sperrend, genau so wie normale Dioden. Während die Z-Diode in Sperrrichtung betrieben wird, arbeitet sie in Durchlassrichtung wie eine gewöhnliche Diode. Man spricht bei Z-Dioden von sogenannten Zener- oder Lawinen-Effekten, die dazu führen, dass der Strom schlagartig zunimmt, sobald eine bestimmte Sperrspannung erreicht wird. Zener-Dioden werden so konstruiert, dass deren Durchbruchspannung einen ganz bestimmten Wert besitzt und sie im Bereich der Durchbruchspannung betrieben werden können. Über einen weiten Bereich von Stromstärken entspricht dann der Spannungsabfall über die Zenerdiode genau der Durchbruchspannung. Der Zener-Effekt, nach seinem Entdecker Clarence Melvin Zener (1905–1993) benannt, ist das Auftreten eines Stroms (Zener-Strom) in Sperrrichtung bei einer hoch dotierten Halbleitersperrschicht durch freie Ladungsträger. Bei Siliziumdioden liegt die Zener-Spannung zumeist zwischen 2 V und 5,5 V.

Musikalisch bedeutet dies ein hohes Eigenleben und eine entsprechende Klangfärbung des Kompressors, ganz wie auch nahezu alle anderen Signalverwalter aus der 60er-/70er-Ära dem Signal ihren Stempel aufdrücken. Anders ausgedrückt, wer hier einen schnellen und klanglich neutralen VCA-Kompressor als Vergleichsobjekt annimmt, wird wahrscheinlich nicht viele Gemeinsamkeiten finden. Fraglich ist jedoch, ob der IGS Audio Zen tendenziell das schon sehr eigene Verhalten eines Opto-Kompressors annimmt, das träge, aber „verklebende“ Verhalten eines Vari-Mu übernimmt oder vielleicht von der Ansprache her sogar in FET-Gefilde vorstößt. Die Neugierde steigt.

IGS Audio Zen Profil

Der IGS Audio Zen in der Praxis

Was bereits bei den ersten Reglerbewegungen auffällt, ist die intuitive Bedienung. Aufgrund der reduzierten Bedienungselemente ist der anvisierte Sound recht schnell gefunden, wobei gerade dem Input-Regler eine besondere Funktion zukommt. In diesem Fall fungiert der Regler nicht nur als einfacher Aufholverstärker, sondern greift je nach Gain-Stufe massiv in das Klanggeschehen ein. Dies jedoch auf eine höchst musikalische Art und Weise, so dass selbst bei starker Sättigung niemals das Gefühl einer unangenehmen Halbleiter-Zerre aufkommt.

Die größte Stärke des IGS Audio Zen liegt eindeutig im „Verkleben“ des Audiosignals, so dass die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Dynamikstufen äußerst geschmackvoll angeglichen werden. Hat man erst einmal seine persönliche Attack/Release-Einstellung gefunden, kann man sich in Ruhe dem Gain-Regler widmen, der fast schon eine Klangbearbeitung über den Dynamikbereich hinaus ermöglicht. Insbesondere bei perkussiven Signalen kann der IGS Audio Zen seine volle Stärken ausspielen, indem er den Peak sehr gekonnt abfedert, ohne dass die Transienten in Mitleidenschaft gezogen werden. Das anschließende Aufholen der dynamisch tiefer gelegenen Signalstufen ermöglicht in der Tat dramatische Lautheitsanhebungen. Ich habe mehrfach überprüft, ob ich die Normalisierung bei der MP3-Konvertierung eingeschaltet hatte, da das bearbeitete Signal nicht nur lauter, sondern um ein Vielfaches lauter wirkte.

Wer es schafft, sich auf den Grundklang des IGS Audio Zen einzulassen, wird tatsächlich bei nahezu jedem Ausgangsmaterial verblüfft sein, wie sehr das anliegende Signal an Druck und Durchsetzungsvermögen gewinnt. P.S. Wer sich über die Zerre im Synth-Loop Klangbeispiel wundert, dies ist mit Absicht geschehen, um zu zeigen, wie der Kompressor im Extrembereich klingt.

IGS Audio Zen im Einsatz

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